Wieder Wörter in die Welt geschickt,

dieses Mal Poesieboote auf dem Rhein/2023.

 

 

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"Lyrikwald"

Spätherbst 2016, an der Autobahnausfahrt ein abgeerntetes Feld mit aufgetürmten Strohballen. Ich halte an, laufe zum Feld zurück, fotografiere die Strohballen. Abgeerntete Stengel erinnern an einen Wald - ein Rapsfeld. Unwiderstehlich. Ich pflücke einen armvoll der ausgebleichten Pflanzenstengel.

Die Stengel erinnern an abgestorbene Bäume, fragil, zerbrechlich  (sie brechen wirklich leicht). Auch Gedichte können leicht und fragil sein.  Da ist sie - die Idee zum Lyrikwald.

An der Unterseite umgebe ich die Rapsstengel mit Buntmetall , glänzender Grund für die Worte, die auf den hellen Pflanzenteilen gut sichtbar sind. Gedichte meiner Lieblingslyrikerinnen sichten, eigene Texte dazugeben, lesbar auf die Pflanzenstengel schreiben (eine Herausforderung ...). Ein geeignetes Holzstück suchen, darauf kann der Wald wachsen.

 

Rose Ausländer - Anders II

Hilde Domin - Das Gefieder der Sprache

Forugh Farrochsad - Leben

Marina Zwetajewa -  Das Gold ...

Anna Achmatowa - Vieles wartet ...

(Texte weiter unten)

 


Rose Ausländer - Anders II

Es ist alles

anders geworden

 

oder sind wir es

die anders wurden

 

oder ist alles Andere

anders

als wir es sehen

("Mutterland", Braun Lyrikspectrum 10, 1978)

 

Hilde Domin - Das Gefieder der Sprache

Das Gefieder der Sprache streicheln

Worte sind Vögel

mit ihnen davonfliegen

("Hier", Fischer TB 680, 1990)

 

Forugh Farrochsad - Leben

Du pralles Leben, noch bin ich erfüllt
Noch sprudeln meine Lippen von dir über
Ich denke weder dran, das Tau zu kappen
Noch wünsche ich, du wärest schon vorüber ...
(Auszug,  "Jene Tage", 1993, Bibliothek Suhrkamp)

 

Marina Zwetajewa

Das Gold meines Haars - ganz still

wird´s grau - Das ist nicht schade:

Alles hat sich erfüllt,

denn ich sing ja gerade. ...

(Auszug, "Und nun ist das Wort aus Stein gefallen", 1993, Fischer TB 1990)

 

Anna Achmatowa

Vieles wartet noch darauf, so fühl ich

daß meine Stimme es einmal besingt:

Das, was wortlos ist, das Dröhnen, Krachen,

Kräfte, die im Erdreich drängen, schaffen,

oder was durch Rauch und Nebel  dringt.

Ja, ich hab noch einiges zu klären

mit Wasser und  mit Feuer und mit Wind ...

Deshalb kann´s im Halbsschlaf mir geschehen,

daß ganz plötzlich Tore offenstehen

und ich mich beim Morgenstern befind.

("Und nun ist das Wort aus Stein gefallen", 1993, Fischer TB 1990)